Buchrezension: Digitaler Minimalismus - Besser leben mit weniger Technologie
Internet und Social Media sind längst ein unverzichtbarer Teil unseres Alltags. Doch so nützlich sie auch sein mögen, in den letzten Jahren werden uns auch zunehmend die negativen Aspekte vor Augen geführt, von Ablenkung und Filterblasen bis zu Informationsüberfluss und Abhängigkeit. Und die Frage wie wir digitale Technologien nutzen sollen und Medienkompetenz entwickeln, wird immer wichtiger. Die Philosophie des digitalen Minimalismus gibt eine Antwort darauf.
"Besser leben mit weniger Technologie" mag sich gerade jetzt nachdem sich durch Corona quasi alles auf einmal in den digitalen Raum verlagert hat, etwas utopisch und unrealistisch anhören. Uni, Arbeit, Treffen mit Freund*innen, alles war auf einmal online. Und doch hat uns vielleicht gerade diese intensive Nutzung während des Lockdowns zusammen mit der weitgehenden Einschränkung unserer Offline-Kontakte gezeigt, dass Online-Tools nicht alles ersetzen können.
Projekte und Referate digital zu koordinieren ist deutlich aufwändiger, ein Anruf ist nicht dasselbe, wie eine persönliche Begegnung auf einmal merken wir, wie sehr uns diese kleinen sozialen Interaktionen an der Uni, Schule oder am Arbeitsplatz abgehen.
Auch ich verspürte schon seit längerer Zeit den Wunsch, etwas an meinen digitalen Gewohnheiten zu ändern. Nicht, dass ich das Gefühl gehabt hätte, meine Handy- und Internetnutzung wäre total problematisch, aber ein Blick auf die Bildschirmzeit in den Einstellungen meines iPhones zeigte mir, dass ich pro Tag nicht selten drei bis vier Stunden auf meinem Handy verbringe. Pro Woche rechnet sich das auf bis zu 24 Stunden auf. Ein ganzer Tag. Ein ganzer Tag, den ich nur vor meinem Smartphone verbringe. Das war schon irgendwie schockierend und ganz automatisch tauchte die Frage auf, was ich denn mit so viel Zeit anstellen könnte, wenn ich sie anders nutzen würde.
Als ich daher von MEINPLAN.at die Möglichkeit bekommen habe, das Buch "Digitaler Minimalismus - Besser leben mit weniger Technologie" von Cal Newport zu lesen und rezensieren, beschloss ich diese Gelegenheit zu nutzen, meine digitalen Gewohnheiten von Grund auf zu überdenken.
Wir sitzen nicht am Steuer
Wir alle kennen wohl diese oder ähnliche Situationen: Man sollte eigentlich für eine Prüfung lernen, aber schaut stattdessen ein Youtube-Video nach dem anderen oder, man wollte eigentlich nur kurz etwas nachschauen und folgt nach einer halben Stunde immer noch Link über Link.
Cal Newport, Autor des Buches „Digitaler Minimalismus – Besser leben mit weniger Technologie“ vertritt die These, dass ein solches Verhalten keinesfalls eine Folge mangelnder Disziplin oder gar Charakterschwäche sei, sondern viel mehr Apps und Websiten so designed werden, dass sie möglichst viel unserer bewussten Aufmerksamkeit möglichst lange beanspruchen. Denn ein neutraler Ort ist das Internet längst nicht mehr. Auch hier werden Geschäfte gemacht und verschiedenste Unternehmen buhlen um unsere Aufmerksamkeit, um uns von ihren Produkten oder Dienstleistungen zu überzeugen.
Deswegen ist es laut ihm nicht ausreichend, sich einfach nur eine Auszeit zu nehmen, denn wir sitzen gar nicht am Steuer. Die Aufmerksamkeitsindustrie (wie er all die Unternehmen nennt) lenkt unsere digitalen Gewohnheiten und, um die Kontrolle zurückzuerlangen, müssen wir sie erst von dort vertreiben und uns selbst ans Steuer setzen.
Um das zu bewerkstelligen schlägt er den digitalen Minimalismus als Lösung vor. Eine Philosophie, die genau festlegt wann, wie und in welchem Ausmaß man welche Technologien nutzt.
Die Methode
Der Großteil von Newports Buch gibt eine Anleitung, wie genau diese Philosophie angewendet werden soll, um unser digitales Leben umzukrempeln.
Am Anfang dieses Prozesses steht eine digitale Entrümpelung, 30 Tage in denen auf alle nicht-optionalen Technologien verzichtet wird. Also ein Monat kein Netflix, Instagram, Facebook, etc. In dieser Zeit geht es darum herauszufinden, welche Technologien eigentlich wirklich notwendig sind, weil sie einen wichtigen Wert für uns erfüllen und gleichzeitig Offline-Aktivitäten, die uns Freude machen (wieder) zu entdecken.
In Phase 2 werden diejenigen digitalen Tools, die einen wichtigen Wert erfüllen, schrittweise wieder ins eigene Leben integriert. Allerdings wird dabei genau festgelegt, wie diese zukünftig genutzt werden sollen, um nicht wieder die Kontrolle zu verlieren und stundenlang irgendwo in den Untiefen des Internets zu landen.
Wie ging es mir damit?
Um ehrlich zu sein, 30 Tage ohne Internet und Social Media (außer für die Uni) waren ziemlich schwierig und richtig durchgezogen habe ich es eigentlich nur zwei Wochen. Auch die Festlegung genauer Technologieregeln in Phase 2 habe ich nur eher halbherzig gemacht.
Dennoch hat mich Cal Newports Buch sehr beeindruckt und mir wirklich bewusst gemacht, was für einen Impact die Nutzung digitaler Technologien eigentlich auf unsere Psyche hat. Ich bin überzeugt, dass die Philosophie des digitalen Minimalismus funktioniert, aber sie bedeutet doch eine tiefgreifende Änderung bisheriger Gewohnheiten und es ist sicher keine schnelle und einfache Lösung.
Aber auch wenn ich (noch) nicht zu einem digitalen Minimalisten im engeren Sinn geworden bin, hat sich doch einiges an meiner Technologienutzung geändert. Meine durchschnittliche Bildschirmzeit beträgt jetzt nur noch um die eineinhalb Stunden täglich. Ich plane bewusst Zeiten ein, in denen ich offline bin und gehe auch mal ohne Handy raus. Soziale Netzwerke, wie Facebook und Instagram, haben weitgehend ihren Reiz verloren. Stattdessen versuche ich ganz da zu sein, wenn ich Personen im realen Leben treffe und lege mein Smartphone erst gar nicht auf den Tisch.
Digitaler Minimalismus - Besser leben mit weniger Technologie
von Cal Newport
272 Seiten
Redline Verlag
GmbH, München
19,99 EUR