Wie ich Slow Travel für mich entdeckte
Ohne fixen Plan verreisen und ohne Hunderte Sehenswürdigkeiten zu sehen? Tim Moores Reisebericht über seine Radtour entlang des Eisernen Vorhangs beeindruckt und macht Lust auf mehr.
Reiseberichte interessieren mich persönlich nur, wenn der Autor das eine oder andere Problem durchmachen muss. Läuft alles rund, schwindet mein Interesse meist nach den ersten zwanzig Seiten. Das könnte durchaus der Grund für mein eigenes schlechtes Karma beim Reisen sein, das sich aktuell auf unabsichtliche illegale Einwanderung in die USA, im Flughafen Feststecken wegen eines Tornados, oder Evakuierung aufgrund eines brennenden Busses beläuft.
Tim Moore passiert nichts, was ihm das Reisen erschwert. Nein, er gestaltet es absichtlich so schwierig wie möglich. Außerdem zog mich das Thema des Eisernen Vorhangs an, das für mich als Kind der Jahrhundertwende doch eher ein abstraktes Konzept ist.
Slow Travel - beliebt nach der pandemie
Auch wenn Tom Moore es im Buch nie direkt anspricht, ist es das Konzept von Slow Travel, das sich zwischen den unterhaltsam geschriebenen Seiten versteckt. Der Weg ist das Ziel. Nie wäre er damit zufrieden gewesen, nur einen Teil des Iron Curtain Trail mit dem Fahrrad abzufahren und den Rest mit dem Auto zurückzulegen. Oft habe ich mir Videos angesehen, in denen junge Leute ihr Hab und Gut in einen Van packen und für ein oder zwei Wochen einfach drauflosfahren und war unglaublich neidisch. Als Person, die normalerweise Struktur braucht, hatte das etwas Undenkbares für mich. Wo würde ich schlafen? Sollte ich nicht zumindest eine Liste mit Sehenswürdigkeiten machen? Am ersten Tag doch besser fünf Stunden fahren, damit gleich am Anfang Meter gemacht werden?
Via Slow Travel Europa zu erkunden, war mindestens seitdem ich zum ersten Mal dieses Buch gelesen habe, ein persönlicher Traum, den ich hoffe, mir im September verwirklichen zu können. Spezifisch aber seit der Pandemie sehne ich mich nach dieser Freiheit und ich bin anscheinend nicht die Einzige. Denn noch nie habe ich so viele Campervans durch das Salzkammergut kurven sehen.
Tim Moores ungewöhnliche Reisen
Über den Autor: Die Idee, mit einem alten Klapprad den Iron-Curtain Trail abzufahren, kommt nicht von irgendwoher. Tim Moore’s Einstellung zum Reisen schien immer schon einzigartig gewesen zu sein. Beispielsweise besuchte er 1998 „per Zufall“ die Arktis, oder bestritt mit einem störrischen Esel namens Shinto den Jakobsweg (Festgehalten in seinem Buch Zwei Esel auf dem Jakobsweg). Wenn er sich nicht für sein neues Buch Hals über Kopf und etwas unvorbereitet in sein neues Abenteuer stürzt, schreibt er Kolumnen für den Daily Telegraph, den Observer, die Sunday Times, den Guardian, die Financial Times, oder das BBC Lonely Planet Magazine.
Die Route des Eisernen Vorhangs
Das Buch: Auf 9.000 Kilometer beläuft sich der Iron Curtain Trail. Von der Arktischen See bis ans Schwarze Meer folgt die Route dem damaligen Verlauf des Eisernen Vorhangs. Tim Moore beschließt die Strecke abzufahren. Aber das ist noch nicht irrsinnig genug für den Briten. Es muss unbedingt auf einem alten DDR-Klapprad sein, das genau zwei Gänge besitzt. Bekannt dafür zielsicher jede Unannehmlichkeit anzusteuern, beschließt er seine Reise am nördlichsten Punkt der russischen-norwegischen Grenze zu starten. Mitten im arktischen Winter. So lernen sein Klapprad (ein MIFA 904) und er die finnische Tundra und ihre Bewohner auf höchst authentische Weise kennen. Mit der Unterstützung eines deutschen Energydrinks, lappländischen Rentierzüchtern, serbischen Rockstars und seines unbezwingbaren Humors holpert er quer durch Europa. Drei Monate und zwanzig durchquerte Länder später schafft er es ans Ziel: die bulgarische Schwarzmeerküste. Daraus ergibt sich ein Reisebericht, der seinesgleichen sucht.
„Mein Handy klingelte: Es war der Deutschland-Korrespondent des Guardian, und er bat mich um meine Meinung über etwas, von dem ich, statt mir wie sonst nur zu wünschen, dass es so wäre, tatsächlich noch nie gehört hatte. Entsprechend kurz fiel unsere Unterhaltung aus, gerade lang genug, um meinem Gesprächspartner eine griffige Schlagzeile zu liefern: „Teilzeitradler weiß nichts über den neuen Iron Curtain Trail“
- Tim Moore -