Was soll ich studieren? Tipps vom Profi
Psychologe Franz Oberlehner berät junge Menschen, die nicht wissen, was sie studieren sollen. Wir haben seine Tipps für die Studienwahl gesammelt.
Im Maturajahr war unser Werkunterricht prädestiniert für die Zukunftsgespräche unter uns Klassenkollegen: Warst du schon auf der Studieninfomesse? Über welche Studiengänge hast du dich informiert? Wann machst du die Aufnahmeprüfung?, haben wir beim Sägen und Nähen besprochen. Dank unserer pädagogischen Berufsausbildung war für die meisten der Berufseinstieg im Kindergarten nach der Matura klar, doch spielten viele meiner Klassenkollegen mit dem Gedanken, zumindest nebenberuflich zu studieren – einfach, weil sie weiterlernen oder sich weitere Berufsmöglichkeiten eröffnen wollten.
Andere Motive erfahre ich von Studenten, die ich vor der Hauptuni in Wien treffe. Iveta erzählt, sie studiere BWL, „weil schon der Vater Wirtschaft studiert hat“. Dejan wiederum hat überlegt, mit welchem Studium er einen sicheren Arbeitsplatz finden könne und sich für Pharmazie entschieden. Flora ist interessiert an Naturwissenschaften und studiert jetzt im zweiten Semester Biologie, möchte aber nächstes Jahr Medizin probieren.
Psychologe Franz Oberlehner in der Studienberatungsstelle Wien © MEINPLAN.at
Wer von ihnen hat nach den „richtigen“ Kriterien entschieden, wonach sollte man ein Studium auswählen? Ich habe den Experten befragt: Der klinische Psychologe Franz Oberlehner leitet die psychologische Studienberatungsstelle Wien, wo im Jahr 2017 knapp 4.500 Klienten beraten worden sind. Etwa 450 davon sind gekommen, weil sie nicht wussten, was sie studieren sollten.
Nach welchen Kriterien soll ich mich für ein Studium entscheiden?
Franz Oberlehner fasst fünf Schritte für die Studienwahl zusammen:
#1: Sich selbst fragen.
Das Wichtigste ist, zuerst sich selbst zu fragen: Was will ich? Was kann ich? Was hätte ich gern für meine Zukunft? Worauf kommt es mir an: Möchte ich Karriere machen? Einen Beruf haben, der mit der Familie vereinbar ist? Möchte ich möglichst viel Freizeit haben oder möglichst viel Geld verdienen? Das ist die erste persönliche Auseinandersetzung.
#2 Informationen einholen.
Der nächste Schritt ist, sich zu informieren: Welche Studien gibt es? Welche Bedingungen haben sie? Welcher Rahmen passt für mich: Will ich eine Universität absolvieren oder eine Fachhochschule? Wo möchte ich am ehesten studieren? Gibt es andere Bedingungen, die mir wichtig sind?
#3 Erfahrungen machen.
Reale Begegnungen suchen und meine Vorstellungen mit der Realität abgleichen. Sich an der Uni informieren, einen Tag der offenen Tür besuchen, mit Leuten reden, die das studieren oder absolviert haben und in diesem Bereich arbeiten. An Unis in eine Vorlesung hineinsetzen.
#4 Alternativen bewerten.
#5 Entscheiden.
Was ist wichtiger: Interesse oder Berufschancen?
Zugegeben, beim Lesen der Nachrichten habe ich manchmal die romantische Vorstellung gehegt, eine technische Karriere einzuschlagen, weil sie ja so gefragt ist. Frauen in der Technik sehen in der Werbung selbstbewusst aus. Nur wären weder ich noch meine Arbeitgeber da glücklich mit mir.
Natürlich reiche es nicht, einen Beruf zu wählen, der gefragt ist, bestätigt Franz Oberlehner: „Jemand, der an der TU studiert, hat zwar gute Berufschancen. Doch man muss auch Begabungen und Interesse dafür haben.“ Umgekehrt nur auf die Selbstverwirklichung zu schauen und sich nicht zu erkundigen, wie es nachher mit den Möglichkeiten aussieht, sei auch ein Fehler. Das geht eben nur in Kombination beider Aspekte.
Sich Zeit nehmen für die Studienwahl - und z.B. ein Gespräch in der Psychologischen Studierendenberatungsstelle vereinbaren © MEINPLAN.at
Welche Priorität hat die Meinung der Eltern und Freunde?
Der Papa möchte, dass ich Jus studiere vs. ihm zu Fleiß mache ich Ägyptologie – klingt beides nicht nach einer reifen Entscheidung. „Es ist wichtig, sich die Meinung einzuholen, zu schauen, wo mich andere sehen. Vielleicht kennen mich die Eltern gut“, rät Franz Oberlehner zum Austausch mit den Eltern, solange ihr Rat nicht mit Druck und Zwang verbunden ist.
„Manche fügen sich und sind unglücklich im Studium oder schließen es doch ab und wählen einen anderen Beruf nachher“, weiß er aus Erfahrung in der Beratung. „Es geht um eine produktive Auseinandersetzung, bei der Eltern und Freunde miteinbezogen werden, aber mit maximal leichtem Druck, keinem Zwang.“
Wie erkenne ich, ob ich für das Studium geeignet bin?
„Einerseits kann ich prüfen, ob die Interessen zu mir passen. Doch wirklich wissen, ob das Studium passt, kann ich erst, wenn ich ein bis zwei Semester studiert habe“, sagt Psychologe Franz Oberlehner.
„Im Vorfeld kann man es mit einer Studienwahldiagnostik versuchen, die man auch bei uns in der Studienberatungsstelle machen kann, wo verschiedene Interessensfragebögen und Leistungstests gemacht werden. Doch die Studienwahl ist eine komplexe Entscheidung.
Selbst wenn jemand nicht optimal begabt ist für ein Medizinstudium, aber irrsinnig viel Motivation und Ehrgeiz hat, kann er es trotzdem schaffen.
Man soll sich möglichst viel Orientierung holen, aber es kann nie jemand von außen sagen, was wirklich passt. Entscheiden muss man selbst.“
Zweifel an der Studienwahl – wann ist Zeit für einen Studienwechsel?
„Zweifel sind völlig normal, fast unvermeidlich“, beruhigt Oberlehner. „Es ist auch völlig normal, bei Prüfungen durchzufallen. Das ist für viele ein Schock, besonders für jene, die gut in der Schule waren. Im Studium ist man plötzlich froh, gerade noch durchzukommen. Das muss man erst emotional verkraften.“ Ein Grund für einen Studienwechsel muss das noch lange nicht sein.
„Zweifel an der Studienwahl sind völlig normal, fast unvermeidlich. Es ist auch völlig normal, bei Prüfungen durchzufallen."
- Studierendenberater Franz Oberlehner -
„In den meisten Studien gibt es jetzt Studieneingangsphasen, in denen schnell klar wird, ob man sie schafft oder nicht. In der Regel kann man da nicht allzu oft antreten. Ansonsten wird es ernst, wenn man in die Blockade kommt, wenn man merkt, man kommt nicht weiter, fällt nur durch, tut ein Semester nichts, schafft keine einzige Prüfung. Dann sollte man sich erst Hilfe bei der Studierendenberatung holen und überlegen, ob es besser wäre, etwas anderes zu tun.“
Zeit nehmen, um Fehler zu machen
Wer angesichts der Qual der Wahl überfordert ist, darf übrigens gelassen sein, denn Umwege zu gehen muss ja nichts Schlechtes sein. Oft verstehen wir erst später, wozu wir manches begonnen, versucht und beendet haben.
Vielleicht spricht dir Jessica aus der Seele, die in der Vampirsaga „Eclipse“ die Schulabschlussrede hält: „Als wir fünf waren, wurden wir gefragt, was wir mal werden wollen. Unsere Antworten lauteten: Astronaut. Präsident. Oder in meinem Fall: Prinzessin. Aber da wir jetzt erwachsen sind, erwartet man eine ernsthafte Antwort. Wie wär’s damit: Wer zum Teufel weiß das schon?“
„Jetzt ist nicht die Zeit, feste Entscheidungen zu treffen. Jetzt ist die Zeit, Fehler zu machen. Den falschen Zug zu nehmen und irgendwo zu stranden. Den Bachelor in Philosophie zu machen, denn damit kann niemand seinen Lebensunterhalt verdienen. Die Meinung zu ändern und sie wieder zu ändern, denn nichts ist von Dauer. Macht so viele Fehler, wie ihr könnt. Denn wenn man uns eines Tages wieder fragt, was wir werden wollen, werden wir nicht raten müssen. Wir werden es wissen.“
Kostenlose Beratung für Studierende
Die Psychologische Studierendenberatung gibt es 6x in Österreich, sie verläuft per Online-Chat, im persönlichen Gespräch oder in Gruppen. Als Dienststelle des Wissenschaftsministeriums ist die Beratung kostenlos. Die meisten Studierenden kommen aufgrund persönlicher Probleme oder mit Problemen rund ums Lernen oder Schreiben von Arbeiten. Komm zu den Öffnungszeiten oder mach dir einen Termin aus.