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Abenteuer Leben. Studium. Beruf. © Sarah Staber & Stephanie Briegl / MEINPLAN.at
29.08.2022 | Zofia Wegrzecka

Verzeihen oder sich selbst befreien

Monate vergehen und ich spüre es immer noch immer wieder. Enttäuschung, Wut, Trauer, dann wieder Wut, dann wieder Trauer. Ich weiß genau, woher diese Gefühle kommen. Ich wurde verletzt. Und was jetzt?

Soll ich für immer damit leben?

Anfangs habe ich die Gefühle zugelassen, sie ausgelebt, mich bei meinen Freundinnen ausgeheult (die sich mein Jammern tatsächlich immer und immer wieder geduldig angehört haben und auch nach dem 10. Mal noch die richtigen Trostworte parat hatten), und mir das bisschen Selbstmitleid gegönnt. Doch irgendwann wurde es mir zu blöd.

 

 
„Du kannst doch nicht Monate später noch wegen dem gleichen Sch*** heulen.“
 
 

 

Ich machte mir selbst diesen Vorwurf und beschloss meine Freunde in Ruhe zu lassen. Aber das „Problem“ war dadurch nicht weg. Das Einzige, das sich geändert hatte: Ich fühlte mich allein damit. Und ich glaube ihr könnt euch vorstellen, dass das die ganze Situation nicht unbedingt erträglicher machte.

 

Zeit heilt alle Wunden?

Spätestens jetzt war mir klar: dieser Satz ist reiner Bullshit. Die Wut und/oder Traurigkeits-Schübe holten mich immer wieder ein. Und machten mich zu einer Person, die ich selbst nicht mehr erkannte. Innerlich ganz bitter tat ich nicht nur der Person weh, die mich verletzt hatte (was by the way überhaupt keine Genugtuung brachte) sondern wurde auch anderen gegenüber ungut. „Zofia, das bist nicht du.“ Dieser Satz, den mir schließlich jemand sagte, war wie ein Weckruf für mich. Diese verbitterte Person - das war tatsächlich nicht ich. Zumindest wollte ich das auf keinen Fall sein.

 

Zufall oder Fügung oder Gottes Wirkung – kurze Zeit darauf bekam ich die Antwort auf mein Problem. In mehreren Büchern, die ich in der Zeit las, in Podcasts, die ich hörte, überall um mich herum kam das Thema „Vergebung“ auf. „Vergeben ist ein Prozess der Befreiung – von der Bitterkeit, die auf mir selbst liegt.“, diese Worte aus dem Buch „Jung und gläubig“, der evangelischen Influencerin und Speakerin Jana Highholder machten mir klar: das brauche ich. Ich muss vergeben, um frei zu werden, von diesen Gefühlen, die mich immer wieder einholten.

 

hinaus aus der opferrolle

Je mehr ich mich mit dem Thema beschäftigte, desto deutlicher wurde mir: Ich hatte mich in eine mehr oder weniger bequeme Opferrolle begeben, aus der nur ICH mich befreien konnte und auch musste.  Wie die Psychologin Sarah Desai in einer Podcast-Folge ihres Podcasts „The Mindful Sessions“ sagt: „Ich trage keine Schuld an meinen Verletzungen aber die Verantwortung für ihre Heilung.“

 

Diese negativen Gefühle, der Schmerz, der erstmals durch die andere Person ausgelöst wurde, waren längst nicht mehr die Schuld dieser Person. Ich fügte mir den Schmerz selbst zu. Indem ich festhielt an dem, was passiert war, immer und immer wieder daran dachte und so den Schmerz rekonstruierte. Ich selbst machte mich verbittert. Eine ernüchternde Erkenntnis. Aber nicht nur ernüchternd, sondern vor allem eines: ermächtigend. Ich war dem Gefühl nicht mehr ausgeliefert. Wenn ich selbst der Ursprung war, dann konnte ich auch den Schlussstrich ziehen. Und dieser Schlussstrich war, loszulassen, oder, in anderen Worten: Verzeihen.

 

Verzeihen involviert nur eine person. Dich. 

Ganz wichtig für den Prozess der Verzeihung war für mich, einzusehen, dass er nur mich selbst involvierte. Um zu verzeihen, brauche ich keine Entschuldigung, keine Erklärung. Ich muss die Person, die mich verletzt hat, nicht verstehen. Verzeihen heißt nicht, dass ich die Verletzungen nicht mehr als Verletzungen sehe. Es bedeutet nur, dass ich mich entscheide, sie zu akzeptieren und mich nicht mehr dagegen auflehne. Es bedeutet, dass ich mich loslöse von den Gefühlen der Rache, der Wut, der Enttäuschung.

 

(Ich möchte an dieser Stelle anmerken: Verzeihen bedeutet nicht Versöhnen. Dass ich verzeihe, ist aber die Voraussetzung dafür, dass ich mich versöhnen kann. Versöhnung involviert aber auch die andere Person und ist ein Thema für einen separaten Post ;))

 

 

„Schuldzuweisung ist ein negatives Gefühl…. […]. Negativität limitiert mich, und der Schmerz erinnert mich immer an das, was ich verloren habe.“

- Carmen Kroll -

 
 

 

Warum verzeihen?

Zu verzeihen ist also etwas wofür du dich und ich mich aktiv entscheiden müssen. Für uns. Wieso? Wenn ich etwas nicht verzeihe, vielleicht nur verdränge, dann ist das Gefühl noch da und wird auch nicht von allein verschwinden. Es macht mich bitter. Ich habe das erlebt und vielleicht hast du das auch. Nicht nur der Person gegenüber, die mich verletzt hat, sondern auch in meinen anderen zwischenmenschlichen Beziehungen. Es hindert mich daran andere zu lieben. Aus Angst, verletzt zu werden. „Schuldzuweisung ist ein negatives Gefühl…. […]. Negativität limitiert mich, und der Schmerz erinnert mich immer an das, was ich verloren habe.“, wie die Influencerin Carmen Kroll in ihrem Buch "Mein Kopf, ein Universum" schreibt. Dem kann ich nur zustimmen. 

 

Verzeihen - as easy as that?

Ich weiß nicht, welche Verletzungen du selbst erlebt hast, ich kann nur für mich sprechen. Nachdem ich verstanden habe, was Verzeihen bedeutet, war mir klar: Ich habe die Wahl. Entweder ich füge mir weiterhin den sekundären Schmerz der vergangenen Verletzungen zu, oder aber ich entscheide mich dagegen und befreie mich. Indem ich verzeihe.

 

Natürlich ist Verzeihung nicht leicht, und natürlich ist es kein einmaliger Schlussstrich, sondern einer, der immer wieder nachgezogen werden muss. Ein Prozess, der nicht linear verläuft, sondern in dem es auch manchmal Rückschläge gibt. Der Unterschied zu den Wellen an negativen Gefühlen, die mich zuvor überrollten und denen ich mich ausgeliefert fühlte, ist einer. Ich fühle mich nicht mehr ausgeliefert. Ich kann mich immer wieder entscheiden, zu verzeihen. Ja, ich leide immer noch manchmal.

 

Denn ja, die Verletzungen sind noch da. Aber Ich entscheide mich dagegen, Groll der anderen Person gegenüber zu verspüren. Ich entscheide mich gegen die Bitterkeit. Wieder und wieder. Und vielleicht - hoffentlich - kannst du das jetzt auch ein bisschen mehr.

Zofia Wegrzecka

Eine Weltbürgerin auf permanenter Suche nach den schönsten Dingen dieser Welt, aktuell das Auf und Ab ihrer 20er genießend- die Poetin in mir würde sich wohl so beschreiben. Weil ich in Polen geboren, in Deutschland und Österreich aufgewachsen, nirgendwo so richtig aber irgendwie doch überall ein bisschen daheim bin. Erklärt vielleicht auch, wieso das Reisen zu meinen Leidenschaften zählt. Gleich danach kommen das Nachsinnen und Philosophieren über Gott und die Welt. Weil ich meine Freunde aber auch nicht ewig vollquatschen kann und mein Kopf manchmal schon zu überquellen droht, habe ich einfach ab und zu den Drang, das Ventil aufzudrehen und meine Gedanken rauszulassen. Auf Papier (oder eher auf Word). Warum ich für MEINPLAN schreibe? Zugegeben, vielleicht spricht da eine kleine Narzissistin aus mir heraus, aber ich glaube, dass mein Gedanken-Wirrwarr vielleicht doch für andere ganz hilfreich und wenn nicht das, dann zumindest interessant sein könnten.

 

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