Sprich darüber – Warum Depression kein Tabuthema sein darf
Hallo Du! Ich weiß nicht, wie es dir gerade geht und in welcher Situation du dich gerade befindest. Wenn es dir nicht gut geht, hoffe ich, dass du dich, durch das was ich schreibe, weniger allein fühlst. Wenn es dir gut geht, hoffe ich, dass es dich zum Denken anregt.
"Sprich darüber, sprich darüber, sprich darüber!" Dieses Mantra geistert mir schon seit geraumer Zeit im Kopf herum. Und trotzdem hat mich bis jetzt etwas daran gehindert, es wirklich umzusetzen. Aber das Paradoxe ist, dass genau dieses Stigma, gegen das ich ankämpfen möchte, mich den Mund halten ließ. Mich den Mund halten ließ, über eine Sache, die so viele von uns betrifft. Deswegen glaube ich, dass das, was ich schreibe, vielleicht - hoffentlich - jemandem da draußen hilft.
Du bist nicht allein
"Sprich darüber!" - das habe ich im letzten Jahr gelernt. Du bist nicht allein. Du bist NICHT ALLEIN. Wenn du in der Früh aufwachst und dich nicht aus dem Bett erheben kannst, weil der Tag sinnlos erscheint. Wenn du dich an eine Aufgabe setzt, deine Gedanken dich aber paralysieren. Wenn du dich nicht in der Lage fühlst, deine Freund*innen, geschweige denn jemand anderes zu treffen, weil du einfach nur weinen möchtest.
Wenn du nicht verstehst, wie Lachen geht. Wie Freude geht. Wenn du dich allein fühlst. Und es scheint, als wärst du die einzige Person in deinem Umfeld, der es so geht. Wenn von außen betrachtet alles in deinem Leben stimmt, und du trotzdem nur Schwarz siehst. Wenn du nicht verstehst, wieso. Wie du in dieses Loch hineingefallen bist. Wenn es scheint, als würdest du nie wieder hinausklettern können. Wenn du einfach nicht mehr willst. Gar nichts mehr willst. DU BIST NICHT ALLEIN!
Dieses unbeschreibliche Gefühl der Sinnlosigkeit
Ich schreibe gerne. Ich lerne gerne. Ich treffe mich gerne mit Freund*innen. Ich stehe gerne früh auf. Ich lache gerne. Ich kenne mich. Ich weiß, dass die genannten Dinge alle ein Teil von mir sind. Doch vor einiger Zeit wachte ich auf und sah das alles nicht. Ich konnte nicht schreiben, weil meine Gedanken es nicht zuließen. Ich konnte nicht lernen, weil sich das Lernen sinnlos anfühlte. Ich wollte mich nicht mit Freund*innen treffen, weil ich sie mit meiner Traurigkeit nicht runterziehen wollte.
Das, was mein Leben in einigen Monaten des letzten Jahres erfüllte, war ein unbeschreibliches Gefühl der Sinnlosigkeit. Dieses Gefühl konnte ich nicht in Worte fassen, es hatte keine Ursache. Ich tendiere grundsätzlich dazu, Problemen auf den Grund zu gehen, sie bei der Wurzel zu packen und zu entfernen. Ich bin überzeugt, oder war es bis zu diesem Moment, dass alle Probleme eine Wurzel haben und sich lösen lassen, wenn man sie gefunden hat. Und plötzlich war ich konfrontiert mit einem Problem, dass mein rationales Ich, einfach nicht lösen konnte. Ich verstand es nicht.
Immer diese Stimme im Hinterkopf
Das Rationalisieren machte es noch schlimmer. Ich begann, mir einzureden, dass ich nicht das Recht dazu hatte, mich so zu fühlen. Ich habe eine tolle Familie, die allerbesten Eltern, die alles für mich tun würden. Im Studium habe ich keine Probleme. Alles läuft perfekt. "DU HAST KEIN RECHT TRAURIG ZU SEIN". Das war eine Stimme, die ich konstant in meinem Hinterkopf hatte. Aber Surprise, Surprise, der Depression war das scheißegal. Sie tobte weiter in mir. Paralysierte mich. Hinderte mich daran, alles zu tun, was mir zuvor so viel Freude bereitet hatte.
Ich konnte in der Früh nicht aus dem Bett aufstehen. Ich konnte mich nicht hinsetzen und an meiner Abschlussarbeit schreiben. Mein rationales Ich sagte: "Wenn du die Arbeit nicht schreibst, kannst du dein Studium nicht abschließen." Mein depressives Ich konterte: "WHO CARES?" Es hielt mich im Bett fest oder ließ mich, falls ich es doch irgendwie geschafft hatte mich zum Schreibtisch zu schleppen, keinen klaren Gedanken fassen.
Für mich waren in dieser Situation nur drei Dinge klar:
1. Ich bin traurig.
2. Ich kann es nicht ändern.
3. Ich habe kein Recht dazu.
Tag für Tag wachte ich mit diesen Gedanken auf, und es wurde immer schlimmer. Die erste Zeit konnte ich es gut verstecken. Ich zwang mich dazu, mich zusammenzureißen, mich aus dem Bett zu quälen, mir die Zähne zu putzen, den Laptop aufzumachen, mit meiner Familie zu Mittag zu essen. Für alle um mich herum wirkte ich normal, ich tat Dinge, die ich für gewöhnlich immer tat. Vielleicht ohne viele Emotionen zu zeigen, aber das hatte ich zuvor auch nie wirklich. Man merkte mir nichts an. Ich zwang mich, weiterzugehen, doch innerlich wurde jeder weitere Schritt immer anstrengender.
Corona kam mir sehr gelegen, weil ich so nur in meiner Familie dieses Schauspiel führen musste. Die meisten Kontakte außer Haus blieben mir erspart. Denn was ich in der Familie noch irgendwie verstecken konnte, indem ich mich in meinem Zimmer verschanzte, mit dem Vorwand, lernen zu müssen, hätte ich in meinem Freundeskreis unmöglich vertuschen können. Jegliche Fragen von Freundinnen, ob ich Lust hätte, spazieren zu gehen, oder was zu unternehmen, lehnte ich ab. Mein rationales Ich erinnerte mich: "Du bist eine gute Freundin. Eine gute Freundin lässt ihre Freunde nicht so hängen." Mein depressives Ich schrie: "WHO CARES?"
Irgendeine Ausrede hatte ich immer parat. Ich wollte mit meiner negativen Stimmung nicht noch andere runterziehen. Ich schämte mich so sehr dafür.
Der Moment, als es bergauf ging
Das, was mich im Endeffekt rettete, war, als ich aussprach, was ich fühlte. Und das war einerseits unglaublich schwer, andererseits aber auch unglaublich befreiend. Zu sagen: Ich weiß nicht, was los ist, aber ich will einfach nicht mehr leben" war das Schwerste, das ich je gemacht habe, aber auch das BESTE. Rückblickend war das Aussprechen dieser Worte der Moment, ab dem ALLES bergauf ging.
Ich weiß, nicht jede*r hat das Glück, Eltern zu haben, die einen quasi zwingen, es auszusprechen. Die einen zur Hausärztin schleppen, wenn man so tief in diesem dunklen Loch ist, dass man sich nicht in der Lage fühlt, das Haus zu verlassen. (Sidenote: Wenn du nicht weißt, an wen du dich wenden sollst, Hausärzt*innen können dir massiv weiterhelfen. Sie wissen, wie sie in solchen Fällen vorgehen sollen. Wenn du selbst nicht klar denken kannst, kommt es dir so vor, als würde dir niemand helfen können. Das ist aber nicht der Fall. Es gibt so viele Möglichkeiten. So viele Anlaufstellen.)
Wir müssen anfangen, ehrlicher zu sein
Wenn man einfach nur ausspricht, was man fühlt. Und ja, das ist nicht einfach. Aber der Grund, wieso es nicht einfach ist, ist das Stigma rund um mentale Gesundheit. Niemand will sagen: "Es tut mir leid, ich kann mich heute nicht mit dir treffen, weil es mir mental nicht gut geht". Man will sein gegenüber nicht in diese "unangenehme" Situation bringen. Oder aber auf Misstrauen stoßen.
Mentale Erkrankungen ernst nehmen
Mentale Erkrankungen sind aber nicht weniger ernsthaft als physische Erkrankungen. Und viele davon, vor allem Depressionen gedeihen in dem Stigma, das sie umgibt. Es gibt jenen, die darunter leiden, das Gefühl allein zu sein. Ich denke, alles wäre ein Stückchen leichter, wenn wir mentale Erkrankungen so betrachten würden wie einen Knochenbruch. Sie ernst nehmen würden. Depressionen können jede*n einzelne*n von uns treffen. Und ich bin mir sicher, in Deinem Umfeld leiden mehr Menschen darunter, als du denkst.
Egal mit wem. Wenn du das liest und es dir gut geht, will ich dir sagen, frage deine Mitmenschen ernsthaft, wie es ihnen geht. Du weißt nicht, ob nicht jemand in deinem Umfeld gerade das Gefühl hat, allein zu sein. Sei eine Ansprechperson. Wenn du das liest und du mentale Probleme bis jetzt nicht ernst genommen hast, will ich dir sagen: Bitte überdenke deine Einstellung noch einmal, denn es kann deine Schwester, deine*n Freund*in, es kann DICH treffen. Und vor allem will ich sagen, egal ob du betroffen oder nicht betroffen bist: Sprich auch DU darüber!
Österreichweite Anlaufstellen, wenn du keinen hast, mit dem du reden willst oder kannst:
- Kostenlose österreichweite Telefonseelsorge (rund um die Uhr): 142
- "Rat auf Draht" (rund um die Uhr, kostenlos, für Kinder & Jugendliche): 147
- Kostenlose Beratung für Kinder und Jugendliche (Mo-Sa 14.00-18.00 Uhr): 0800/201 440