Schutzraum für Klärung zu sein ist wichtiger, als bunte Fahnen zu hissen
"Ich möchte nicht, dass die Kirche Teil der Pride-Bewegung wird und unkritisch ihre Ziele übernimmt. - Ich schwärmte in meiner frühen Jugend immer wieder für Frauen, die mir wertschätzend entgegenkamen. Später verliebte ich mich in meinen heutigen Ehemann."
Ich möchte nicht, dass die Kirche Teil der Pride-Bewegung wird und unkritisch ihre Ziele übernimmt. Es geht darin ja nicht einfach nur um die Würde und Annahme der Person – was zur DNA des Christentums gehört, auch wenn es für jede Generation und jeden Einzelnen ein Lernfeld bleibt. Die Pride-Bewegung vertritt auch geschlechterpolitische Ziele und Aussagen über das Wesen des Menschen, die mit der grundlegenden DNA des Christentums nicht vereinbar sind.
Wie komme ich zu meiner Haltung? Ich schwärmte in meiner frühen Jugend immer wieder für Frauen, die mir wertschätzend entgegenkamen. Ja, ich war manchmal richtig verliebt in sie, sodass ich mir meine Gedanken darüber machte. Damals hatte ich den Freiraum, und der war bei mir innerhalb der Kirche in der Jugendgruppe, dieses Empfinden als eine Phase, als einen Aspekt meiner Entwicklung wahrzunehmen. Ich wurde mit diesen Emotionen nicht festgelegt auf eine eventuelle Homosexualität, auch nicht darauf beschränkt, gelabelt oder zum Ausprobieren ermutigt. Ich ahnte oder wusste irgendwie, dass die Pubertät auch solche Gefühle heben konnte. Später verliebte ich mich in meinen heutigen Ehemann und habe über all die Jahre eine wunderbare Ehe erlebt, auch unsere Kinder und Enkelkinder finden darin ein Zuhause.
Auf diesem Weg passierte etwas für mich völlig Unerwartetes: Ich verliebte ich mich so in eine Frau, dass ich am liebsten alles liegen und stehen gelassen hätte und nur mehr mit ihr zusammen sein wollte. Ich vermisste sie unendlich, wenn sie nicht bei mir war. Ich suchte im Internet etwas über das Thema Frauenfreundschaften und stieß dabei auch auf Coming Out-Seiten und Frauen, die ihre Partner stehen gelassen hatten und sich definitiv „richtig“ fühlten dabei. Aber das war nicht stimmig mit meiner Lebenssituation und guten Ehe. Ich suchte schließlich das Gespräch mit zwei verschiedenen Seelsorgern in der Kirche und zusätzlich mit einer Psychotherapeutin. Ich wollte mich verstehen und es genau wissen! Sie alle haben unvoreingenommen zugehört und mich in den mich verwirrenden Gefühlen verständnisvoll und behutsam begleitet. Im Hinhorchen und mir selbst Zeit-Nehmen, auch einfach im Gebet vor Gott, entdeckte ich ein „kleines Mädchen“ in mir, welches als Kleinkind durch die schweren Depressionen meiner Mutter wichtige Entwicklungsbedürfnisse eine Zeit lang nicht gestillt bekommen hatte. Und ich spürte zunehmend, dass diese Freundin irgendetwas darin ausgelöst hatte.
Da wurde mir auch ein Zusammenhang zu meinen überschießenden Gefühlen für Frauen in meiner Jugend klar. Meine sehr persönlichen Dynamiken zwischen ungestillten Entwicklungsmotiven und unbeantworteten Geschlechtsmotiven durfte ich über eine längere Zeitdauer mit diesen Seelsorgern und einer kurzen Therapie anschauen und in mir integrieren. Der alte Schmerz, (z.B. übersehen zu werden, nicht wichtig zu sein, der zeitweise Ausfall einer liebenden Mama), der sich viele Jahre fast unbemerkt in mir verborgen hatte, fand erstmals Worte, konnte gestillt werden, und ja, es wurden sogar neue Gaben aus diesem Prozess. „Ich bin Galaxien vorwärtsgekommen!“, sage ich gerne über diese Zeit.
Die Kirche als Raum, um über Sein und Werden nachzudenken
Die Kirche, wie ich sie – jedenfalls bei uns vor Ort – erlebe, ist für uns bis heute ein Raum, wo die Themen der LGTBI-Bewegung wahrgenommen, aber nicht gehyped werden. Das gibt den Jugendlichen einen wichtigen Raum, um über ihr Sein und Werden nachzudenken. Medien, Bildung und Soziale Foren sind oft schon so überladen mit der Betonung queerer Themen, dass es wie eine Einbahnstraße scheint: „einmal schwul - immer schwul“ oder „queeres Leben ist das im Grunde bessere Leben“. Jugendliche, denen gleichgeschlechtliche Impulse begegnen, nehmen kaum mehr die mögliche Fluidität in ihrem Begehren wahr (oder sie wird überbetont). Nur selten erschließt ihnen jemand, dass oft ganz andere Lebensthemen das beeinflussen können, was sie zu einer bestimmten Zeit in der Sexualität suchen. Und es gibt dabei viel Widersprüchliches, platt-Stereotypes. Man hört kaum etwas Relevantes über die tiefe Bedeutung der Beziehung zwischen Mann und Frau und wie man dieses Abenteuer vielleicht trotz Beziehungsängsten gelingend gestaltet, obwohl es für so viele eine Sehnsucht ist!
Man hört kaum etwas Relevantes über die tiefe Bedeutung der Beziehung zwischen Mann und Frau und wie man dieses Abenteuer vielleicht trotz Beziehungsängsten gelingend gestaltet, obwohl es für so viele eine Sehnsucht ist!
Ich finde, diesem Grundauftrag soll sich die Kirche heute wieder neu und kreativ stellen: Gott schuf den Menschen Ihm zum Bilde als Mann und Frau, mit ihrer ergänzenden Fruchtbarkeit und Kreativität: Ob in der Ehe, als exklusiver Gemeinschaft von Mann und Frau, die dann alle Ebenen ihres Menschseins umgreift und offen ist für Familie, oder ob in ihrer gemeinsamen Verantwortung in der Welt überhaupt.
Wäre ich heute jung, dann wäre ich wohl verwirrt in einer Pride-Bewegung gelandet, die mich aktiv von der Option der Ehe entfremdet hätte. Spätestens mit 40 Jahren hätte ich definitiv vor der Frage gestanden, meine wunderbare Ehe aufs Spiel zu setzen.
Wenn ich auf meinen Weg zurückblicke, danke ich jenen Seelsorger-/Innen, die mich so liebevoll, offen und weise begleitet haben. So möchte ich von Herzen, dass die Kirche diese Aufgabe beibehält und sich auch, wo nötig, weitere Kompetenz aneignet, um heute Menschen gut begleiten zu können, die in ihrer Identität als Mann, als Frau, sensible Fragen haben.