Mut zur Wut
Als ich in einer Phase war, in der ich aufgebracht und wütend war, habe ich an einem Frauen-Workshop zum Thema Wut teilgenommen. Die „Sacred Anger Night“ bot mir die Möglichkeit, im sicheren Rahmen Dampf abzulassen. Im Interview mit den beiden Vortragenden gehe ich der Wut auf den Grund.
- Wofür ist Wut gut? Was bringt es wütend zu sein?
Antonia: Wut ist eine Emotion. Es gibt keine falschen oder richtigen Emotionen. Sie sind eine Art, uns auszudrücken und, wenn wir sie unterdrücken, tun wir uns immer erst mal selber weh. Man kann Wut auf zwei Arten leben: Auf eine konstruktive/kreierende Weise oder auf eine destruktive Weise, die zerstörerisch wirkt. Die konstruktive Seite der Wut findet wenig Beachtung. „Wut ist Agressor, Wut ist schlimm, Wut tut weh“ – diese Zuordnungen sind weit verbreitet. Dabei ist Wut erst mal Kraft! Eine Kraft und Energie die mich antreibt und mir Feuer gibt.
Katharina: Ich war in einer Beziehung, in der ich mich sehr ohnmächtig gefühlt habe. Eigentlich hätte ich wütend sein sollen, aber diese Emotion war jahrelang einfach nicht da. Irgendwann habe ich einen Zugang zur Wut gefunden und dadurch auch die Kraft, Nein zu sagen: Nein zu der Beziehung und Ja zu mir. Dadurch hat sich ein Schalter in mir umgelegt: Nun bringt mich Wut in die Kraft und ich kann für mich selber einstehen. Meine Betrachtungsweise hat sich dadurch verändert: Wut ist nichts Hässliches, wovor ich Angst haben muss, im Gegenteil: Wut kann mir dienen, wenn ich einen gesunden Kanal dafür finde. Sie hilft mir, von der Ohnmacht in die Eigenmacht zu gehen.
- Woher kommt die Wut?
Antonia: Wut kommt aus mir heraus – sie wird vielleicht von anderen ausgelöst, aber sie baut sich in mir auf. Es geht um den gesunden Kanal, den Katharina angesprochen hat: Es ist eine Kraft in mir, die ich nicht zwangsläufig gegen jemand anderen richte.
Für mich ist Wut genauso natürlich wie Traurigkeit. Jede/r hat Trauer in sich und es ist gesellschaftlich anerkannt, diese auszudrücken. Wut hingegen wird vom Gegenüber häufig persönlich genommen. Dabei sagt meine Wut im ersten Moment mehr über mich aus, als über den/die anderen.
Katharina: Was wir bei dem Workshop mitgeben wollen, ist die Kunst, nichts persönlich zu nehmen. Wenn jemand Wut in uns auslöst, sind wir gewohnt, es zu projizieren und zu denken „das ist jetzt wegen dieser Person so“. Dabei hat die Wut den Ursprung in uns – auch wenn es von jemand anderem an die Oberfläche geholt wird. Deshalb ist es wichtig, die Wut nicht nur loszuwerden, sondern auch zu schauen, was dahintersteckt.
- Ich finde wütend sein sehr anstrengend, wenn ich mit der Wut alleine bin und irgendwie versuchen muss, sie in mir abzubauen und mit mir selbst auszumachen. Das kostet soviel Kraft..
Katharina: ...es ist der Wiederstand, der müde macht, gar nicht die Sache an sich. Ich kämpfe an, gegen das was ist und da sein möchte. Das ist so ermüdend. Es ist wie ein Kampf, der in einem stattfindet. Vielleicht fühlt es sich deswegen so befreiend an, die Wut rauszulassen und ausdrücken.
Ich habe Angst, dass andere Menschen mich als unbeherrscht und unkontrolliert einstufen, wenn ich meine Wut zeige.
Antonia: Das ist für mich ein Stigma, das herrscht. Wie oft werden wütende Frauen runtergemacht mit Sätzen wie „Ach, die sind so hysterisch. Die regen sich so auf... Die haben sich nicht unter Kontrolle!“ Das sind Narrative, die schon seit Jahrhunderten bestehen. Frauen, die wütend waren, wurden in der Vergangenheit klein gemacht, als kindlich oder unbeherrscht dargestellt, entmündigt oder zur Dramaqueen stilisiert.
Katharina: Letztendlich tragen in gewisser Weise auch wir diese Glaubensätze in uns. Wir denken „ach, das geht nicht, das ist nicht angemessen... „ Vielleicht kennen wir solche Phrasen aus unserer Kindheit oder wir haben sie als Erwachsene von der Gesellschaft übernommen. Folglich ist es logisch, dass es eine Hemmung gibt, sich wütend zu zeigen. Aus dieser Scham müssen wir uns selber befreien.
- Wie passen für euch Wut und Weiblichkeit zusammen?
Antonia und Katharina: Wir nehmen eine starke kulturelle Konzeption von Weiblichkeit wahr. In der Gesellschaft gelten zum Beispiel Eigenschaften wie Sanftheit, Fürsorge oder Emotionalität als weiblich. Wut ist kein Teil dieser Konstruktion. Ich bin aber der Überzeugung, dass Wut eine Urkraft ist, die allen Menschen liegt, nur bei der Frau sehr lange Zeit nicht begrüßt wurde. Für uns ist die Zeit gekommen, diesen Anteil in uns wieder aufzuwecken und sich dieses Gefühl wieder anzueignen und zurückzuholen – denn Wut gehört auch mir! Das ist eine Art von Befreiung und weibliches Empowerment.
- Was macht euch wütend?
Katharina: Ich werde wütend, wenn ich nicht ernst genommen werde, ich das Gefühl habe, nicht frei und wild sein zu dürfen und keine Gelegenheit bekomme, mich auszudrücken. Mich macht es auch wütend, wenn andere Frauen solche Situationen erleben. Mir ist deshalb Empowerment wichtig und eine Verbindung unter Frauen zu schaffen – damit sie sich kollektiv von den Fesseln befreien, die eh nur im Kopf existieren.
Antonia: Ich bin früher wütend geworden, wenn zu viele Anforderungen auf mich eingeprasselt sind und ich das Gefühl hatte, ich kriege das nicht hin. Ich war auch schon als Kind viel wütend. Ich habe die alten Bezüge dazu nicht mehr – das hat sich geändert, weil ich übe, die Wut auf eine gesunde Weise auszuleben. Jetzt werde ich wütend, wenn ich sehe, wie andere sich nicht befreien und sich nicht großmachen können – speziell unter Menschen, die weiblich erzogen worden sind.
Mich macht es auch sehr wütend, wenn ich mir vorstelle, wieviel Zeit sich manche Frauen mit limitierenden Gedanken und Glaubenssystemen beschäftigen wie „bin ich schön genug? Darf ich das sagen? Darf ich mir den Raum nehmen?“
- Wie habt ihr die Wut in euren Alltag integriert?
Antonia: Die Tools aus dem Workshop, wende ich auch zuhause an. Wenn ich wütend bin, drehe ich laut Musik auf, schüttle mich, tanze – und dann kann es auch mal zum Urschrei kommen. *lacht* Meinen Mitbewohner macht das nichts, die sind daran gewöhnt. Die kennen die 20 Minuten, die ich dazu brauche.
Im Alltag, sage ich zu meinen Leuten im privaten Kontext „hey, die Situationen gerade löst Wut in mir aus und ich muss das jetzt kurz rauslassen – dont take it personal“. Es kann sein, dass ich mit dem Fuß stampfe, schreie... häufig verwende ich wenig Worte, es ist eher ein Dampf Ablassen über Körper und Stimme.
Katharina: Die 3 Prinzipien – breathe, movement, sound – die wir im Workshop anwenden sind Teil meiner Morning Praxis. Wenn ich den Morgen mit Atemübungen beginne und mit der Stimme arbeite, macht das für mich einen merklichen Unterschied in der Art und Weise, wie ich dann Menschen begegne.
Es ist für mich noch ein Übungsfeld, meine Wut auch rauszulassen, wenn ich nicht alleine bin. Das kann ich nur, wenn ich der Person traue und ich mich sicher mit ihr fühle. Sonst sage ich „Hey, ich fühl mich gerade emotional, ich brauche jetzt 5 Minuten,“ gehe aus den Raum und schüttle mich dort ab. Oder im Kaffeehaus gehe ich aufs WC und mache dort meine Übung.
- Gibt es etwas, dass ihr in eurem Leben durch Wut erreicht habt?
Antonia: Durch die Wut bin ich ganz stark ins eigene Empowerment gegangen und das hat mich zu der gemacht, die ich heute bin. Ich fühle ohne Bedingung und ohne Limitierung – alle Emotionen sind willkommen! Das gibt mir ein ganz neues Gefühl in allen Lebensbereichen. Mein Leben ist so authentisch und dynamisch geworden und ich kann nun andere inspirieren, es mir gleichzutun.
Katharina: Die Wut hat mir dabei geholfen, mich aus einer Beziehung zu befreien, die nicht gut für mich war. Das hat eine Kette von Ereignissen ausgelöst. Ich habe mir eine eigene Wohnung gesucht und mich selbständig gemacht. Ich erkenne nun die „alte“ Katharina in vielen anderen Frauen. Ich weiß, wie sich das anfühlt und finde es schön, einen Beitrag leisten zu dürfen, damit ein ähnlicher Prozess entstehen kann. Das erfüllt mich mit Sinnhaftigkeit und Verbundenheit. Insofern hat uns beide die Wut in unsere Kraft gebracht – nicht nur situationsbedingt, sondern generell.
- Was möchtet ihr jungen Frauen mit auf dem Weg geben?
Mut. Mut zur Wut und Mut zur Größe. Das ist das Schöne an der Wut: wütend kannst du nicht klein sein sondern musst dich groß machen. Ich freue mich so darauf, in den nächsten Jahren immer mehr Frauen zu sehen, die sich diesen Platz nehmen.