Frieden beginnt im Kleinen
Handy, Messenger, Briefe, Emails, ... transportieren zwar wichtige Botschaften, jedoch bleibt der Unterton, die Intention und das Augenzwinkern leider oft auf der Strecke. Je mehr ich von mir preisgebe, desto eher werde ich verstanden. Wenn der Frieden im Kleinen beginnt, ist gelungene Kommunikation der Schlüssel.
Handy kaputt? Akku leer?
Mein Puls beginnt zu rasen. Ich tippe hektisch auf meinem Smartphone herum. – Nichts. Einfach eingefroren. „Es könnte etwas Schlimmes in meinem Freundeskreis passieren und ich bin nicht kontaktierbar.“ „Jemand könnte mir eine dringende Frage stellen und meine Antwort würde zu spät kommen.“ „Ich kann meinen Eltern nicht mitteilen, wann ich genau bei ihnen vorbeikomme.“ „Was, wenn ich eine Autopanne habe?“ 1000 Gedanken schießen mir durch den Kopf, die alle zum gleichen Ergebnis kommen: Unvorstellbar, dass ich für die kommenden drei Stunden mein Handy nicht nutzen kann.
Wie wäre das früher gewesen?
Mir kommt mein Opa in den Sinn. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs musste er nach Russland an die Front. Auf dem Weg dahin fuhr der Zug am Garten seines Elternhauses vorbei. Niemand der Familie wusste, dass er darin sitzt. Er konnte nicht schnell ein Foto mit dem Blick aus dem Zug schicken. Auch eine Textnachricht „Kommt in den Garten“ war nicht möglich. Nicht einmal kurz anrufen ging. Mein Opa war damals ungefähr 20 Jahre alt, so alt wie ich, als ich mein erstes Handy bekam.
Frieden ist keine selbstverständlichkeit
Am 8. Mai 2020 feiern wir 75 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa. Ja, ich schreibe bewusst „feiern“! Ich finde, es ist wirklich ein Grund zu feiern. Mein Leben unterscheidet sich von dem meiner Großeltern nicht nur durch den technischen Fortschritt, sondern vor allem dadurch, dass ich in Frieden leben kann.
In meinem Alltag ist das mindestens ebenso selbstverständlich wie inzwischen mein Smartphone. Aber manchmal gibt es diese kleinen Momente, in denen ich spüre: Frieden ist keine Selbstverständlichkeit. Da ist die Kommunikation zwischen zwei Menschen wie eingefroren. Einer versucht seinen Willen und seine Interessen durchzusetzen, der andere fühlt sich missverstanden und ist verletzt, keiner kann seine Gefühle in Worte fassen und beide gehen im Streit auseinander – es herrscht Eiseskälte.
Natürlich, das ist noch kein Krieg. Aber fängt es damit nicht an? Wie kann ich erwarten, dass ganze Länder mit unterschiedlichen Interessen einen gemeinsamen Nenner finden, wenn ich es nicht schaffe zu sagen, was mich gerade so wütend macht, und meine Worte beim Gegenüber eher eine Abwehrhaltung als Verstehen auslösen?
KOmmunikation als Schlüssel
Wenn Frieden im Kleinen anfängt, so bin ich sicher, beginnt er mit einer guten Kommunikation. Falls mein Handy nicht gerade eingefroren ist, kann ich nahezu rund um die Uhr telefonieren oder Nachrichten schreiben und empfangen. Sollte da gute Kommunikation nicht ein Kinderspiel sein?
In den letzten Wochen nutze ich – dank Corona – besonders viel Messengerdienste. Und ich stelle fest, gerade da ist Kommunikation oft eine Herausforderung. Besonders wenn der „Unterton“ fehlt, ist es noch schwerer, die Gefühlslage des anderen zu erfassen. Oft schreibe ich nur eine kurze Nachricht und erwarte, dass der Empfänger nicht nur meine Emotionen und Bedürfnisse, sondern auch die damit verbundene heimliche Bitte erraten kann. Ich weiß, mehr Worte wären hilfreich, aber ich bin oft einfach zu faul, sie zu tippen.
Tipp zum besseren Verstanden-Werden
Mein Opa hatte damals einfach nicht die Möglichkeit, viele Worte zu schreiben. Er hatte nur einen Zettel zu Verfügung. Diesen beschwerte er mit einem Stein und warf ihn in der Höhe seines Elternhauses aus dem Zug, in der Hoffnung, dass sein Vater, der an der Bahnlinie arbeitete, ihn finden würde. Der Gruß kam an.
Damit auch meine Message wirklich bei meinem Gesprächspartner ankommt, habe ich eine Anregung aus der gewaltfreien Kommunikation für mich entdeckt.
Ich nenne sie die WDWD-Regel, nach den vier Schritten, in denen sie vorgeht.
- Schritt: Beschreibe möglichst genau und objektiv – quasi aus der Sicht eines außenstehenden Beobachters – die Situation.
„W-ENN, ich am Abend nach einem anstrengenden Uni-Tag in die WG-Küche komme, um mir etwas zu kochen, und den Geschirrstapel sehe, den ich nicht verursacht habe, ...“
- Schritt: Benenne Dein Gefühl. Scheinbar macht es verletzlich, Gefühle zu teilen. In Wirklichkeit verleiht es der Aussage aber Gewicht und macht sie authentisch, denn das eigene Gefühl kann Dir niemand nehmen. Wenn Du traurig bist, bist Du traurig, auch wenn Deinem Gegenüber der Auslöser wenig verständlich ist. Wichtig ist jedoch, darauf zu achten, dass kein versteckter Vorwurf transportiert wird. „Ich bin unverstanden“ unterstellt, dass der andere Dich nicht versteht.
„... D-ANN bin ich sehr wütend und spüre eine große Müdigkeit, ...“
- Schritt: Versuche zu beschreiben, welches Bedürfnis bei Dir hinter diesem Gefühl steckt. Somit zeigst Du, dass es sich nicht nur um eine momentane Emotion handelt.
„… W-EIL ich das Bedürfnis habe, am Abend beim Kochen zu entspannen und mir das in einer geordneten Umgebung besser gelingt. ...“
- Schritt: Formuliere eine Bitte, die es aus Deiner Sicht zukünftig erleichtert, besser miteinander umzugehen. Aber Vorsicht: Eine Bitte ist eine Bitte. Der andere kann sie auch ganz legitim ablehnen.
„… D-ARUM bitte ich Dich, zukünftig bis 18:00 Uhr Dein Geschirr des Tages zu spülen.“
Alltagstauglich?
Natürlich ist es im ganz konkreten Alltag nicht möglich zu sagen: „Moment, ich muss noch schnell die WDWD-Regel anwenden.“ Aber ich erinnere mich oft selbst: „Stopp!" Tritt innerlich einen Schritt zurück. Beschreibe Dir und dem anderen die Situation so objektiv wie möglich. Stelle Dir selbst die Frage, welches Gefühl beherrscht Dich denn gerade, und gib auch Deinem Gegenüber die Chance, Deine Emotionen zu verstehen. Sag ihm, warum Dir das so wichtig ist und was Du Dir von ihm wünschst. Und auch wenn WDWD nicht immer wie im Lehrbuch klappt, es ist für mich mein kleiner Beginn ... für Frieden in der Welt.