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Abenteuer Leben. Studium. Beruf. © Sarah Staber & Stephanie Briegl / MEINPLAN.at

Entschieden gegen die Sucht

Eine junge Frau entscheidet sich für das Leben. Wie sie geschafft hat, aus ihrer Magersucht auszubrechen, erfährt Katharina aus ihrem Buch "Wie viel wenig ist genug?". Es regt sie zum Nachdenken an: Helfen Worte, wenn jemand in Not ist?

Katharina liebt es, in einer Kaffeebar zu sitzen und bei einem leckeren Cappuccino über Gott und die Welt zu philosophieren. So kam die Idee zur entscheidBAR, einer Kolumne mit dem Ziel, bei einer Tasse Kaffee eine gute Entscheidung zu treffen.

 

Herzlich willkommen in meiner entscheidBAR!

 

In der letzten Kolumne habe ich meine neue Kaffeemaschine vorgestellt und erzählt, wie sie es überhaupt wurde. Jetzt stehe ich vor ihr und überlege, ob es gleich ein Cappuccino oder doch ein Espresso sein soll. Was schon entschieden ist, ist, welches Buch ich zum Kaffee lesen werde. Es liegt schon da und zeigt auf seinem Titel Lea-Sophie Steiff, eine junge Studentin.

 

In meiner Erinnerung ist Lea-Sophie zwölf oder dreizehn, sitzt in meiner Firmkatechese und es ist keine Rede von Magersucht. Aber genau um dieses Thema soll es hier und heute gehen in der entscheidBAR: diesmal also keine noch offene Fragestellung, sondern die Entscheidung einer jungen Frau für das Leben. Und die ist glücklicherweise schon getroffen – gerade noch rechtzeitig. Jetzt teilt sie sie in diesem Buch mit mir und der Welt.

 

Also, Kaffeemaschine an und los geht’s an der entscheidBAR.

[Falls Du – was ich mir kaum vorstellen kann – keinen Kaffee magst, nimm einen leckeren Tee, einen Saft oder einfach ein Glas Wasser.]

 

Mit dem ersten Schluck Cappuccino und den ersten Seiten kommt auch schon Ernüchterung: Eigentlich ist die Magersucht doch schon Thema in Lea-Sophies Leben, als ich in der Kirche vor ihr und all den anderen Jugendlichen stehe und davon spreche, dass jeder einzelne der Firmlinge in Gottes Hand geborgen ist, so wie er ist. Ob Lea-Sophie damals an Selbstzweifel und Essprobleme gedacht hat? Ich habe davon jedenfalls nichts mitbekommen.

 

Lea-Sophie Steiff © Schwarzkopf & Schwarzkopf-Verlag
 

Lea-Sophie Steiff hat den Ausbruch aus ihrer Magersucht im Buch "Wie viel wenig ist genug?" festgehalten © Schwarzkopf & Schwarzkopf-Verlag

 

Seitenweise beschreibt Lea-Sophie nun, was noch niemand mitbekam. Sie nimmt mich mit zu den immer wiederkehrenden Diskussionen am Esstisch der Familie, „wieviel wenig genug“ ist, auf die Waage, in die Gedankenwelt eines pubertierenden Teenagers, aber auch zum Klavierunterricht und zu Konzertauftritten.

 

Bilder, die beim Lesen in meinem Kopf entstehen, und echte Erinnerungen mischen sich. Lea-Sophie lässt mich literarisch einem Konzert lauschen, bei dem ich vor mehr als fünf Jahren wirklich war. Ich sitze in meiner Heimatkirche. Der Chor steht im Altarraum, vor ihm auf den Stufen ein kleines Orchester. Lea-Sophie geht an den Flügel. 

 

Ich werde aus meinen eigenen Erinnerungen gerissen und schaue jetzt plötzlich mit ihren Augen auf diesen Abend und höre doch zugleich meine eigenen Gedanken von damals: „Wow. Noch so jung und schon die Klavierbegleitung bei so einem tollen Konzert. Welch große Zukunft wohl auf sie wartet?“

 

Zwischen Sehnsucht, Rückschlägen und immer mehr vom Wenigen

Was ich nicht mitbekam, war, dass Lea-Sophies Zukunft in den darauffolgenden Jahren zwischen Therapien, heimlichem Wiegen und den hoffnungsvollen Augen ihrer Familie stattfand. Zwischen Sehnsucht, Wagen, Rückschlägen, Lügen und immer mehr vom Wenigen. Ich erfahre, wie man sein Gewicht zum Wiegetermin punktgenau erhöhen kann und Essen solange im Mund „parkt“, bis es unbeobachtet entsorgt werden kann. Ich werfe einen Blick in den Kühlschrank mit heimlich zurückgelegten Pausenbroten, halbvollen Joghurtbechern und verwässerter Sahne. Ich bin Zeuge, wie die Kilos mehr und mehr purzeln und nicht das Klaviertalent, sondern die Sehnsucht, den eigenen Körper zu perfektionieren, die junge Frau antreibt ... bis sie bei einem Konzert nicht mehr in der Lage ist, ihr Solo zu spielen.

 

Und doch, sie macht weiter ... mit dem Abnehmen.

Das haben inzwischen viele gesehen.

Und auch angesprochen.

 

Helfen meine Worte?

Jetzt stehe ich in meinen Gedanken nicht neben Lea-Sophie, sondern neben vielen anderen Jugendlichen, die ich mit ähnlichen Problemen schon als Schulseelsorgerin begleitet habe. Ich spüre meine ganze Ohnmacht. Die gut gemeinten Worte, die doch irgendwie daneben sind. Die antrainierten Verhaltensweisen meines Gegenübers, die mich und all die anderen Menschen, die sich sorgen, kurzfristig befriedigen sollen. Das weiß ich auch, aber ich will mich so gern an die kleine Hoffnung klammern, dass doch alles gut werden kann für diesen jungen Menschen und seine große Zukunft.

 

Ob ich mir die Worte beim nächsten Mal besser sparen soll?

Ob sie nicht nur Ausdruck meiner Hilflosigkeit sind und am Ende doch nichts bringen?

 

„Ich werde wohl nie erfahren, welchen Schalter du in meinem Kopf gefunden hast, aber ich danke dir aus tiefem Herzen dafür. Wer weiß, wo ich ohne deine Standpauke gelandet wäre?“, schreibt Lea-Sophie in ihren Dankesworten an Daniel, ihren Klavierlehrer.

Er hat nicht geschwiegen. Zum Glück.

 

Meine Tasse Kaffee ist leer. Zeit, ein Fazit zu ziehen:

Es waren nicht Daniels Worte, denen Lea-Sophie schlussendlich ihr Leben verdankt, sondern ihre eigene Entscheidung. Das weiß sie heute. Daniels Worte haben sie wachgerüttelt. Entschieden hat sie selbst. Für das Leben.

 

Um für dieses wieder ein Gefühl zu bekommen, musste sie allein nach Neuseeland gehen. Sie kam zurück mit der Gewissheit, dass sie es schaffen kann, und dem Vorsatz, ein Buch zu schreiben. Dieses klappe ich jetzt zu. 

 

Ja, eine „Standpauke“ im richtigen Moment kann sich lohnen. Und wie bei der echten Pauke liegt vielleicht deren Wucht darin, dass sie nicht ständig zu hören ist. Lea-Sophie genoss die Zeit im Klavierunterricht oft, gerade weil es da einmal nicht um das alles beherrschende Thema ging. Und doch: Daniels Paukenschlag gab ihr die Power zur eigenen Entscheidung. Doch eins steht heute für sie fest: Diese Entscheidung kann niemand für sie treffen.

 

 

Deshalb mein Tipp aus der entscheidBAR:

 

Wenn Du merkst, dass das Leben anderer bedroht ist, hab den Mut zu einer „Standpauke“. Kräftig. Und dann lass Pause, um im Nachklang die eigene Entscheidung zu ermöglichen. Ob sie getroffen wird, liegt nicht in Deiner Hand.

 
 

Deine Katharina

 

Wie viel wenig ist genug? - Schwarzkopf & SchwarzkopfBuchtipp

Wie viel wenig ist genug? Mein Ausbruch aus der Magersuch

Lea-Sophie Steiff

Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag

ISBN 978-3-86265-826-8
12,99 Euro

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Katharina Ritter-Schardt

Ich liebe Kaffee, Pfälzer Wein und meine Heimatstadt Speyer (Deutschland).

Meine Leidenschaft ist es, als Theologin, Seelsorgerin und Coach Menschen auf ihrem Lebensweg zu begleiten.

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