Auf der Suche nach unentdeckten Talenten: 6 Fallen, die dich vom Weg abbringen
Wie Claudia es geschafft hat, Jahr für Jahr neue Stärken in sich zu entdecken und was deren Entfaltung verhindern kann.
In uns schlummert eine Vielzahl an Talenten und Stärken. Du kennt bestimmt einige davon! Die offensichtlichsten treten in der Kindheit oder Schulzeit zutage und sind für uns ein bewusster Bestandteil unserer „Repertoires“.
Ich bin aber überzeugt, dass da noch mehr ist! Tief vergraben stecken diese Talente wie Blumensamen in uns und warten darauf, das Licht der Welt zu erblicken, zu wachsen und zur Blüte gebracht zu werden.
Wie ich es geschafft habe, Jahr für Jahr neue Stärken in mir zu entdecken und was deren Entfaltung verhindern kann, erzähle ich euch hier.
#Falle Nr. 1: eigene Fehleinschätzungen
Meine allerneueste Entdeckung ist die Erkenntnis, dass ich Kinder mag und sie mich auch mögen! Ich war mein halbes Leben lang überzeugt davon, dass Kinder nicht meines sind. Vor allem um Kleinkinder machte ich einen großen Bogen und wenn ein kleines Kind munter im Zug herumstapfte hoffte ich, dass es nicht auf mich zukommen würde.
Während ich beispielsweise mit Hunden sofort Freundschaft schloss und intuitiv wusste, wie ich mich verhalten sollte, war es mit Kids für mich nicht so easy. Ich war im Umgang mit ihnen unentspannt, unsicher und es mangelte mir an Erfahrung. Ich redete mir aufgrund meines Unbehagens ein, dass ich mit Kindern nichts anfangen kann, nur weil der Kontaktaufbau nicht ganz so natürlich und wie von selbst geschah, wie es bei Hunden der Fall war.
Im Laufe der Zeit legte ich mir eine Strategie zurecht: Ich beobachtete, wie andere Menschen mit Kindern umgehen und ahmte deren Verhalten nach. Ich wurde offener für eine Unterhaltung und ein Zusammensein mit Kindern und schließlich gelang es mir, mit Kindern zu spielen und eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Ich redete mir aber dennoch weiterhin ein, dass ich nicht mit Kindern könne: Die Erfolgserlebnisse hatte ich nur, weil diese Kinder ganz besonders entzückend waren, reiner Zufall, die Ausnahme von der Regel. Erst nach einem Schlüsselerlebnis inklusive Anerkennung von Betreuer/innen habe ich dann endlich erkannt, dass ich das Potential habe, liebevoll, wertschätzend und altersgerecht mit Kindern umzugehen.
Mein Fazit dieser Erfahrung: Hinterfrage deine vermeintlichen Schwächen und erforsche, ob womöglich Unsicherheit oder Unbeholfenheit der wahre Ursprung deiner Einschätzung sein könnte.
#Falle Nr 2: fehlende Gelegenheiten
Was ist eigentlich Talent? Ich denke, dass Talent angeboren ist, eine Auswahl an Stärken und Potentialen, die schon immer in uns waren. Damit wir sie entdecken, braucht es aber auch die Umgebung dazu!
Ein sportliches Talent wird zum Beispiel eher in einer Familie entdeckt, in der es schon begeisterte Sportler/innen gibt. Musikalisches Talent kommt schneller ans Tageslicht, wenn ein Familienmitglied oder ein Freund der Familie ein Instrument spielt oder in einem Chor singt. Ein kreatives Potential zeigt sich eher in einem Schulprojekt mit künstlerischem Schwerpunkt als bei einer organisatorischen Aufgabe.
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Deshalb ist mein Tipp, nie aufzuhören, neue Dinge auszuprobieren! Versuche dich in unvertrauten Tätigkeiten und nutze jede Gelegenheit, in Kurse reinzuschnuppern und bei Praktika oder Ehrenämter neue Einblicke zu bekommen. Besuche verschiedene Workshops, hilf bei karikativen oder persönlichen Projekten mit und tue Dinge, die dich interessieren. Strecke dich in der Uni oder der Arbeit nach neuen Aufgaben aus und sei offen für Angebote zu Fortbildungen, insbesondere wenn sie von deiner Funktion abweichen.
All diese Tipps haben das Potential, zu der Entdeckung eines Talents zu führen. Wenn du bei den Tätigkeiten Freude hast, gute Ergebnisse erzielst und positive Rückmeldungen erhältst, bist du wahrscheinlich einem neuen Talent auf der Spur!
#Falle Nr. 3: frühere Misserfolge
Hast du in deiner Kindheit oder Jugend ein Gedicht geschrieben und es konnte sich niemand so recht dafür begeistern? Hast du ein Bild gemalt und man hat das Objekt darauf nicht erkannt? Hast du dich in Tennis, Fußball, Tanzen oder Skifahren versucht, dich dabei ungeschickt angestellt und es lieber sein lassen?
Womöglich hat sich bei dir bezüglich einer oder mehrere Dinge der Glaubenssatz „Das kann ich nicht“ entwickelt – und du hast dich damit arrangiert.
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Wie unglaublich wichtig es aber ist, zu hinterfragen, was man verinnerlicht hat, zeigt die Geschichte vom angeketteten Elefanten vom argentinischen Autor und Psychotherapeuten Jorge Bucay. Die Geschichte handelt von einem starken, großen Zirkuselefanten, der an einen kleinen Holzpflock angekettet ist. Eigentlich hätte er die Kraft, um sich zu befreien. Er denkt aber, dass es nicht möglich ist: Schließlich kann er sich noch lebhaft daran erinnern, wie er wochenlang als Babyelefant vergeblich daran gezerrt hat. Er hat sich seinem Schicksal gefügt und seine Kraft nie mehr auf die Probe gestellt!
Wenn du an deine Misserfolge aus der Kindheit zurückdenkst, sei dir im Klaren: Nun bist du älter, größer, stärker. Die Gegebenheiten haben sich geändert und du hast neue Erfahrungen gesammelt und dir Fähigkeiten angeeignet, die beim Erwerben einer neuen Kompetenz hilfreich sind. Vielleicht ist jetzt die Zeit reif dafür, aufgegebene Dinge wieder anzugehen und dir eine neue Chance zu geben.
Falls du gerne die ganze Geschichte des Elefanten lesen möchtest, empfehle ich die Leseprobe seines Buches.
#Falle Nr. 4: Falsche Einschätzungen von anderen Personen
Zeit unseres Lebens werden wir von anderen Menschen beobachtet und bewertet: Von Eltern, Geschwistern, Lehrer/innen, Trainer/innen, Freund/innen usw. Nicht immer ist deren subjektive Beurteilung über unsere Schwächen hilfreich. Warum? Wie ein Zitat aus dem Talmud sagt, nimmt man Dinge manchmal nicht wahr, wie sie sind, sondern wie WIR sind.
Eine Kollegin hat mir erzählt, dass eine Turnlehrerin wiederholt meinte, Sport liege ihr nicht. Es war ihr nicht möglich, den Anforderungen der Lehrerin bei Handständen und Purzelbäumen gerecht zu werden und ärgerte sich infolge dessen über ihre Unsportlichkeit. In den Augen der Lehrerin, die offensichtlich viel Wert auf Bodenturnen legte, war sie untalentiert. Nach einem Schulwechsel entdeckte meine Kollegin, dass sie viel Ausdauer bei stundenlangen Wanderungen zeigte und sie große Freude an Gymnastik hatte. Das sind Sportarten, bei denen es andere Fähigkeiten braucht als für einen Handstand. Die pauschale Einschätzung der Lehrerin, Sport wäre nichts für sie, war schlichtweg falsch: Aus meiner Sicht ein klarer Fall von Tunnelblick.
Wenn eine Sportart nichts für dich ist, probier doch einfach eine andere aus. © iStockphoto.com/MEINPLAN.at
Solche Situationen können sich zum Beispiel auch ergeben, wenn die Leistungen von Geschwistern untereinander verglichen werden. Wenn der Bruder oder die Schwester in einem Bereich ganz besonders talentiert ist, kann es passieren, dass die Messlatte so hoch gelegt ist, dass die eigenen Leistungen nicht mithalten können, obwohl sie im Vergleich zu Altersgenoss/innen sehr gut sind und es keinen Anlass gäbe zu glauben, man hätte kein erwähnenswertes Potential.
Mit etwas Zeit kann man manche Erlebnisse und Bewertungen distanzierter und aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Womöglich sind manchmal das Vergeben von Schulnoten oder anderen Beurteilungen nicht immer ganz fair abgelaufen und sagen deshalb nicht zwangläufig etwas über deine scheinbar nicht vorhandenen Talente aus.
#Falle Nr. 5: unpassende Vergleiche
Woran erkennt man Talent? Bist du talentiert, geht dir die Tätigkeit leicht von der Hand, du erreichst gute Ergebnisse mit wenig Energie und hast Spaß daran. Ein weiteres Indiz für Talent zeigt sich, wenn die Fähigkeit im Vergleich mit den meisten anderen Menschen größer oder besser ausgeprägt ist. In diesem Punkt ist aber auch Vorsicht geboten. Warum? Hier ein Beispiel:
Vor kurzem war ich in einem Workshop für Brushlettering. Einige Teilnehmer/innen waren wie ich ausgebildete Grafiker/innen, die anderen Personen beschäftigten sich mit Lettering aus Interesse. Am Vormittag übten wir Buchstaben, am Nachmittag schrieben wir schon ohne Vorlage ganze Worte. Eine junge Frau war enttäuscht von ihren Ergebnissen, weil die Versuche der anderen viel besser aussahen als ihre! Sie sollte daraus nun nicht den Schluss ziehen, sie wäre weniger talentiert als die anderen. Ich hatte im Rahmen meines Studiums einige Stunden in Kalligrafie und somit einen „Vorsprung“. Wenn sie sich mit meinen Leistungen vergleichen will, müsste sie das mit den Zetteln aus meiner Studienzeit tun, nicht mit meinen Schriftzügen aus dem Workshop.
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Auch mir passiert es immer wieder, dass ich mich mit anderen vergleiche, daraus falsche Schlüsse ziehe und zu wenig die „Vorbildung“ der anderen berücksichtige. Wenn ich bei Partnerakrobatik meine Mitbewohnerin dafür bewundere, wie sie die schwierigsten Figuren mit Leichtigkeit bewältigt, darf ich nicht darauf vergessen, dass sie diesen Sport schon länger macht als ich. Weil sie in Akro viel besser ist als ich, bedeutet das nicht, dass ich untalentiert bin.
Wenn du also etwas zum ersten Mal probierst oder noch Anfänger/in bist, bedenke, dass die anderen eventuell schon erheblich mehr Vorerfahrung haben als du.
#Falle Nr. 6: Talente als Selbstverständlichkeit betrachten
So widersprüchlich das nun zu Punkt 5 klingen mag: Vergleiche mit anderen können auch durchaus hilfreich sein - nämlich, wenn manche deiner Talente schon so normal für dich sind, dass sie dir gar nicht mehr bewusst sind.
Ein gutes Beispiel ist die Geschichte eines Freundes von mir. Er konnte mit 3 Jahren schon bis 100 zählen - eine außergewöhnliche Leistung! Für ihn war das ganz normal. Erst bei seiner Einschulung bemerkte er, dass dies die meisten Kinder in seinem Alter nicht konnten und er ein Talent für Mathematik besitzt.
Man besitzt auch unzählige Talente, die nicht in Schulfächern zur Geltung kommen! Ich war alleine auf Reisen und lernte unterwegs eine Frau und ihren Partner kennen. Sie konnte kaum fassen, dass ich alleine unterwegs war und mich selbstständig um Unterkünfte und alles andere kümmerte. Als wir beim Hostel ankamen, fühlte ich mich auf Anhieb wohl und wie zu Hause. Ich stellte meinen Rucksack ab und begann sofort, mich mit den anderen Gästen zu unterhalten und das Gelände und die Umgebung zu erkunden. Meine Bekannte brauchte deutlich mehr Zeit, um anzukommen, sich in der neuen Umgebung zu orientieren und wohlzufühlen. Dadurch habe ich erkannt, dass sich nicht jede/r so selbstverständlich, schnell und unbeschwert auf fremde Orte und Menschen einlassen kann wie ich.