Alles zu seiner Zeit
Es gibt diese Momente im Leben, in denen ich besonders achtsam, sensibel und hinterfragend bin. Wenn ich mich in diesem feinfühligen Zustand befinde und ausreichend Muße habe, dann bekommen Alltägliches, aber auch spezifische Themen aller Art eine gewisse Tiefgründigkeit und Weite.
Kürzlich habe ich Impulse der „Essais“ von Montaigne aufgegriffen und über die Zeit und das Leben philosophiert:
„Alles zu seiner Zeit.“ – kann interpretiert werden in „Es wird sich alles zu einer bestimmten Zeit weisen.“ Nun, es wäre interessant zu wissen, wann genau diese bestimmte Zeit sein wird. Heute, morgen, übermorgen oder doch erst in ein paar Jahren? Ist die Zeit ausschlaggebend oder überhaupt relevant? Wo ist die Garantie für diese Aussage? Ist „alles“ das Leben in seiner Gesamtheit oder ein Sammelbegriff für all jene Dinge im Leben, die momentan nicht gut laufen? Verändert sich „alles“ im Laufe der Zeit oder an einem exakten Zeitpunkt? Wer bestimmt wann, was, wo, wie geschieht? Das Schicksal? Der Zufall? Der Mensch als Gestalter seines Lebens? Gott? Eine Kombination von dem soeben genannten?
Erfahrungen zeigen, dass herausfordernde Zeiten im Moment selten Sinn ergeben, aber rückblickend eine Zeit des Lernens und Wachsens sind. Aus den schwierigen Lebensphasen, welche vorerst viel Kraft abverlangen, kann man, wenn man es zulässt, gestärkt herausgehen. Reflektierend sind Absagen, Niederlagen oder Verluste auf das gesamte Leben betrachtet, meist eine logische Schlussfolgerung. Jeder Moment, jede Erfahrung und jede Begegnung (mit sich selbst und anderen) ist ein Geschenk und macht uns zu der Person, die wir heute sind.
Wir sind individuelle Persönlichkeiten, welche den Weg des Lebens (Prozess) gehen. Der Sinn des Lebens ist unser Wegweiser. Der Weg, der Prozess, ist das Ziel. Es geht also nicht ums Ankommen am Ende des Lebens, sondern um den Weg an sich. Es geht nicht darum, das Ideal von sich zu sein, sondern um den Prozess des Werdens. Das Ideal, das wir anstreben, kann sich verändern, weil das Leben Veränderung ist. Die Vorstellung eines Selbstideals zeigt uns die Richtung an und dient uns als Orientierung. Was möchte ich erreichen? Welchen Weg möchte ich einschlagen? Was gibt mir Sinn? Was gefällt mir?
Auch hier hilft die Redensart „Alles zu seiner Zeit“ zur Entschleunigung, denn allzu schnell verlieren sich manche in Selbstoptimierung und Perfektion. Alles möchte sofort erreicht werden und im eigenen Besitz sein. In der Habgier beziehungsweise im Mangel sieht man nur, was man nicht hat, anstatt in Dankbarkeit zu leben, um die Dinge wertzuschätzen, welche das eigene Leben bereichern.
Von dem Ausgangsimpuls „Alles zu seiner Zeit“ über Erfahrung und Ziele bin ich zu Ankommen angelangt. Das Schöne am „dahin Philosophieren“ oder Hinterfragen ist, dass dabei viele persönliche Themen und Erkenntnisse sichtbar werden, welche zuvor im Alltag untergehen. Vielleicht dient dir mein Essay als Impuls Lebensthemen (erneut) zu hinterfragen, mehr Raum fürs Philosophieren und Tagträumen in den Alltag einzubauen oder als Inspiration deine wertvollen Gedanken zu Papier zu bringen.